Sound Studies Lecture am 25. Oktober 2010
Im Zuge seiner Auseinandersetzung mit dem Musiker Xenakis für seine Hommage Xenakis [a]live!, die er mit seinem Ensemble zeitkratzer für die Wiener Festwochen realisierte, und zu der Sasha Waltz für den Palast der Republik entwarf, sah sich Reinhold Friedl zusehends mit kriminalistischen Fragen konfrontiert: wie konnte Xenakis räumliche Werke entwerfen, wenn er doch auf einem Ohr fast taub war?
Was bedeutet räumliche Verteilung für die Wahrnehmung eines Mono-Hörers? Wo ist die Mono-Fassung von Concret PH geblieben, die nach Cover-Angaben auf einer CD veröffentlicht wurde, aber gar nicht dort zu finden ist? Wieso wurden drei deutlich verschieden lange Versionen von Persepolis auf CD veröffentlicht, wenn es doch angeblich nur ein 8-Spur-Masterband gab? Wieso behauptet der Verlag Salabert in Paris, dass es nur eine 7-Spur-Fassung des Stückes La Légende d’Eer gibt, während beim WDR mehrmals eine 8-Spur-Fassung aufgeführt wurde? War es zur Entstehungszeit der Stücke überhaupt möglich Mono-Tonbänder zu synchronisieren? Gab es schon Mehrspurmaschinen?
Was bedeutet all das für den Werkbegriff und die Interpretation der Stücke? Schließlich hat Xenakis nicht mehr als zwei reine Tonbandstücke realisiert, alle anderen waren multimedial konzipiert, und liegen zudem selten in einer vom Komponisten autorisierten Stereofassung vor: meistens dokumentiert auf 8-Spur-Bändern warten sie auf neue Interpretationen. Und Reinhold Friedl, der mittlerweile mit dem Pariser Xenakis-Spezialisten Makis Solomos in den Archiven der dortigen Bibliothèque Nationale weiterforscht, berichtet.
Xenakis, der als ausführender Musiker sonst nicht in Erscheinung trat, führte seine elektroakustischen Werke, besonders die sogenannten Polytope, die mit anderen Medien wie Architektur, Licht oder Tanz verknüpft waren, gerne selber vom Mischpult aus auf. Hierfür entwickelte er räumliche Beschallungspläne, deren Programmierung verloren ging, welche Tonbänder er verwendete ist bis heute oftmals unklar.Schließlich mischte er neue Fassungen fast aller Werke am GRM Paris und kaum jemand weiß, welches Material im Archiv des GRM dafür verschwunden ist.
Reinhold Friedl, geboren 1964 in Baden-Baden, lebt in Berlin. Studierte Klavier bei Renate Werner und Paul Schwarz, in Berlin bei Alan Marks und Alexander von Schlippenbach. Komposition bei Witold Szalonek und Mario Bertoncini. Mathematik in Stuttgart und Berlin. Stipendien in Paris, Rom, Marseille, Amsterdam. Konzerte in Europa, Nordamerika, Australien und Japan. Zahlreiche CDs und Rundfunkaufnahmen, als auch Artikel und Radiosendungen (u.a. lettre international, WDR Köln, Leonardo Music Journal MIT press, etc). Reinhold Friedl ist Gründer und Leiter des international renommierten Ensembles zeitkratzer. Er erhielt Kompositionsaufträge u.a. von der Stadt Berlin, Wien Modern (Xenakis[a]live!), dem BBC London (1. Streichquartett), Berliner Festspiele, ZKM Karlsruhe („Neo-Bechstein“), dem Französischen Staat (2.Streichquartett). Reinhold Friedl entwickelte neue Techniken, den Flügel auf den Seiten zu spielen und führte hierfür den Begriff Inside-Piano ein. DArüberhinaus arbeitete er interdisiplinär, u.a. mit Sasha Waltz (Choreographie zu Reinhold Friedl’s Xenakis [a]live!, Palast der Republik, Berlin), Mode-Performance mit Lisa D (Steirischer Herbst, Graz), Rubato Dance Compagnie (Tanzplattform Leipzig etc.), Thomas McManus (Theaterhaus Stuttgart), Frank Castorf (Volksbühne Berlin), Lillevan (Live-Video).