Sound Studies Lecture am 14. Februar 2011
Der Vortrag beschäftigt sich mit dem Konzept des neuen Studiengangs Sound Studies. Eine Theorie der auditiven Kultur bietet die Möglichkeit, Bereiche der Alltagskultur, des modernen urbanen Lebens aus der Perspektive des Hörens und der Klanggestaltung zu beschreiben, ohne auf traditionelle musikalische Konzepte zurückzugreifen. Doch eine Theorie der auditiven Kultur muß sich auch mit der aktuellen Rolle künstlerischer Konzepte innerhalb der Alltagskultur auseinandersetzen. Diese Frage erweist sich bei näherer Betrachtung als eine Frage nach dem Verhältnis von ästhetischer und wissenschaftlicher Praxis.
Man kann darüber streiten, ob der Studiengang Sound Studies als neue Position innerhalb der Musikwissenschaften oder aber als Ergebnis einer tiefgreifenden Erweiterung der Musikwissenschaften verstanden werden muß. Wichtiger als die Beantwortung dieser Frage ist vielleicht aber die ausdrückliche Hinwendung zu Konzepten und Fragestellungen der Cultural Studies, die die Sound Studies vollziehen, und die Veränderung der Perspektive, aus der sie dadurch musikalische und klangliche Phänomene beschreiben können – dazu gehört die Sensibilität für spezifische Haltungen und Verhaltensweisen, die sich im Umgang mit den modernen Geräten der Audiotechnik entwickeln, ebenso wie für Verhaltensweisen von Musikern – Gesang und Instrumentalspiel erscheinen nun auch als spezielle Formen der Disziplinierung des Körpers in der Moderne, Musiker hingegen als Spezialisten dieser Disziplinierung.
Zu den Themen der Sound Studies gehören jedoch außerdem Bereiche und Phänomene der Alltagskultur, die mit Musik im traditionellen Sinn zumindest auf den ersten Blick höchstens indirekt zu tun haben. Um den Fokus auf diesen Bereich zu lenken, plädiert Sabine Sanio für einen Begriff der auditiven Kultur, der es erlaubt, Klanggestaltung wie auditive Erfahrung im Alltag unabhängig von gängigen musikalischen Konzepten zu beschreiben. Ein weiteres Thema des Vortrags wird die Frage nach dem Verhältnis von ästhetischer und wissenschaftlicher Praxis in den Sound Studies sein. Angesichts der im 20. Jahrhundert vollzogenen Veränderungen im Selbstverständnis der Künste – diese haben in der jüngsten Vergangenheit ein nachdrückliches Interesse für die Alltagskultur entwickelt – spricht viel dafür, die Erkundung der Alltagswirklichkeit als gemeinsames Projekt von Künstlern wie Wissenschaftlern zu begreifen.